ALEXANDER G. ZAKHAROV

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Rede zu Ausstellung "Winterreise"

Meine Damen und Herren! Liebe Kunstfreunde!

Zugegeben –  es ist ein bisschen paradox. Während draußen bereits die ersten Vorboten des Frühlings zu sehen sind, Krokusse keck aus der Erde aufbrechen, an den Bäumen die ersten grünen Triebe erscheinen, machen wir uns gemeinsam mit dem Maler Alexander G. Zakhrov auf eine Winterreise.

In den vergangenen Tagen gab es bei uns in Nordrhein-Westfalen, wo wir gerade für diese Eröffnung herkommen, schon sommerliche Temperaturen. Gerade gestern war es in Münster um die Mittagszeit bis zu 15 Grad warm. Die Menschen saßen im T-Shirt oder kurzärmeligen Hemd im Eiscafé und haben ihr erstes Eis geschleckt. Ich habe mir sagen lassen, dass es auch bei Ihnen in Dresden schon frühlingshaft warm gewesen ist. Innerlich sind wir also darauf eingestellt, dem Winter ade zu sagen. Es war lange genug kalt, garstig und ungemütlich. Ich denke, das geht Ihnen genauso wie uns. Und jetzt katapultieren wir Sie gewissermaßen zurück auf „Eine Winterreise“.

Aber keine Bange, meine Damen und Herren. Die Temperaturen in dieser Galerie scheinen konstant angenehm zu bleiben. Wir haben es an dieser Stelle auch tatsächlich mit ganz anderen Befindlichkeiten zu tun. In diesen 25 Arbeiten, Gemälden und Lithografien, lässt uns der Künstler frösteln, indem er uns an seinen Inspirationen, seinen Albträumen, Ängsten und Gefühlen teilhaben lässt.

Schauen Sie sich diese Gemälde einmal an. Lassen Sie Stimmungen und die Atmosphäre auf sich wirken. Versuchen Sie dabei, einmal den Kopf auszuschalten – ich weiß natürlich das funktioniert nicht so einfach – und folgen Sie Ihren Emotionen und hören Sie einmal auf Ihr Bauchgefühl.

Was sehen wir? Der Himmel ist auf den meisten dieser Gemälde nebelverhangen. Grau in Grau ist die Landschaft – verloren und einsam vor einem schier unendlich weiten Horizont. Leise rieselt der Schnee. Die Palette des Malers birgt schier unglaubliche Schattierungen von Weiß.

Ich habe mir sagen lassen, dass Eskimos für Schnee und Eis viel mehr Worte haben als wir. Leicht nachvollziehbar: Sie sind rund ums Jahr, Tag und Nacht von Schnee und Eis umgeben. Bei genauer Betrachtung verändert sich das Bild von Eis und Schnee aber – je nach Jahreszeit und auch nach Wind und Wetter. Um dies zu beschreiben haben die Eskimos so viele verschiedene Worte dafür.

Bei unserem russisch-deutschen Maler ist es ganz ähnlich. Alexander Zakharov hat mehr Weißtöne und Schattierungen als uns lieb ist. Diese Farben erzählen uns ihre Geschichte. Was uns vielleicht auf dieser Palette fehlt, ist das gleißende, leuchtende Schneeweiß eines klaren, klirrend kalten Wintertages der von der Sonne beschienen wird. 

Der Schnee, den wir auf diesen Gemälden sehen, ist fast grau, schmutzig als läge er schon Wochen und Monate, ohne dass sich etwas verändert hätte. Dieses schmutzig angegraut Weiß erklärt: Die Zeit scheint stehen geblieben. Es ist über Wochen und Monate lang Winter. Wir sehen auf einigen Bildern die Strommasten der Überlandleitungen, die wie bizarre Mahnmale, wie stilisierte Kruzifixe, ihre Arme hilfesuchend ausstrecken und in die Ferne zeigen.

Wir sehen Menschen unverdrossen durch den Schnee stapfen, einem geheimnisvollen Ziel entgegen. Die Protagonisten sind gesichtslos. Sie beugen sich ihrem Schicksal, sind in notdürftig wärmende Kleidung gehüllt, dunkel mitunter schwarz als trügen sie Trauer. Sie gehen einer ungewissen Zukunft entgegen. Ihr Herz ist getrieben von Sehnsucht. Sie suchen das Licht. Die Sonne und deren Wärme. Die Gemälde von Zakharov sind figurativ und abstrakt zu gleich. Die Gemälde sind aufgeladen wie ein Potentiometer – einige ihrer Motive und Zeichen stoßen archetypische Bilder und tiefliegende Träume an. Ein goldener Engel stürzt zur Erde, der Mond scheint auf dem Kopf zu stehen. Eine Kutsche mit drei afrikanischen Figuren fährt am Berg Golgatha vorüber. Die Kreuze auf dem Berg brennen sich in unsere Wahrnehmung ein.

„Eine Winterreise“ nennt der russisch-deutsche Maler Alexander G. Zakharov seinen aktuellen Gemäldezyklus aus dem Jahr 2017 und 2018. Der Zyklus knüpft an frühere Arbeiten an und doch hat er eine neue, eindringliche Qualität hinzugewonnen. Ohne explizit darauf Bezug zu nehmen, knüpft Zakharov mit seinen 25 Gemälden kongenial an die Motive der „Winterreise“, dem großen Liederzyklus von Franz Schubert an. Zugegeben: Das ist ein großer, bedeutungsschwangerer Vergleich und doch er trägt. Mit großer Wucht trifft der winterliche Bilderzyklus uns. Kein Zweifel: Die Gemälde von Zakharov sind große Kunst. Gerade deswegen, weil der Maler aufrichtig bei seinem Thema bleibt, ohne uns betören oder gefallen zu wollen. Die Arbeiten von Zakharov sind niemals Augenwischerei, sie sind eindringlich wie ein Donnerschlag. Man kann an ihnen nicht vorbeisehen. Sie sind ein Statement – so unbedingt und groß, dass sich erst gar nicht die Frage stellt, gefallen mir diese Gemälde oder nicht. Ihre Wahrheit ist unbedingt. Wer sich nicht darauf einlassen mag, der schaut weg!

Meine Damen und Herren, es ist die immerwährende Suche des Menschen nach Sinn, Heimat und Glück, die sich in diesen Bildern Bahn bricht. Landschaften werden zu Seelenbildern so als hätte der norwegischen Maler Edvard Munch mit seiner Schwermut Pate gestanden. Die physische Kälte und Bangigkeit, die aus diesen Gemälden auf den Betrachter überspringt, dringt einem buchstäblich unter die Haut bis auf die Knochen.

Das Herz wird schwer von lauter Sehnsucht. Alexander Zahkarov ist einer der existenzialistischen Maler, den ich kenne. Zakharov ist der Sartre der Malerei. Der Mensch ist auf die Erde geworfen und muss sich in diesem Leben zu Recht finden. Ohne uns etwas sagen oder etwas Bestimmtes mitteilen zu wollen, ist er auf der Suche nach den Urgründen unserer Existenz. Dafür setzt er sich einen immensen Strapaze aus, denn wer sich so wie Zakharov auf eine Reise in sein Inneres aufmacht, der begegnet weniger der Freude oder dem Glück, denn der Angst und der Furcht vor der Ungewissheit. Mit Zakharov dringen wir vor ins „Herz der Finsternis“.

 „Malen, das ist etwas, das aus mir herauskommt. Ich bin Werkzeug, wie Pinsel, Spachtel, Schaber, Ritzer sind auch meine Arme Werkzeug“, sagt der Künstler. „Es malt mich. Ich muss malen! Es macht mich malend, es wird in mir gemalt, so malt es mich.“

Meine Damen und Herren,  lassen Sie mich Ihnen den Künstler mit ein paar Strichen vorstellen. Alexander G. Zakharov wurde am 19. Juni 1957 in Kiew/Ukraine als Sohn russischer Eltern geboren. Sein Vater war Offizier und seine Mutter forschte und lehrte als Professorin für Ethnologie an der Universität.

Nach dem Abitur überzeugte man ihn davon, etwas „Ordentliches“ zu lernen. Er studierte an der Universität zwischen 1975 und 1980 das Fach Biologie. Nach seinem Abschluss entschied er sich seinem Herzen zu folgen und Künstler zu werden. 

Alexander Zakharov studiert an der Kunstakademie in Kiew. Nach seinem Abschluss bekommt er als Kulissenmaler eine Anstellung am Theater in Kiew und kann sich dort nebenbei intensiv seiner Malerei widmen.

Der Zusammenbruch der alten Sowjetunion bietet den Künstlern, so auch ihm, viele neue Möglichkeiten. Denn Kunst ist plötzlich gefragt. Die innovativen und aufregenden Gemälde von Alexander Zakharov kommen sehr gut an und finden Käufer. Zakharov hat nie in der angesagten Manier des Staates gemalt, sondern ist stets seinen eigenen Weg gegangen.

Ein Galerist aus dem Westen wird auf ihn aufmerksam, kauft Bilder, um diese im Westen als Ausdruck der neuen Zeit zu verkaufen. Kunst aus der sich radikal veränderten Sowjetunion wird erfrischend anders gesehen und erlebt. Halten wir uns zugleich vor Augen, dass Parallel die westliche Kunst auf merkwürdigen Abwegen unterwegs ist. Abstraktion steht im Mittelpunkt.

Immer häufiger werden bizarre Verrücktheiten zu Wahnsinnspreisen versteigert und verkauft. Der Kunsthandel bestimmt das Interesse an der Kunst. Der Kunsthandel ist es auch, der an das Selbstverständnis der Künstler auf der ganzen Welt rührt. Geld droht die kreativen Kräfte zu korrumpieren.

Eine Einzelausstellung führt Alexander Zakharov von Kiew nach Bielefeld. Auch dort hat er mit seinen Gemälden Erfolg, weil sie so anders, so ehrlich und authentisch sind, wie sie viele Kunstliebhaber in den Arbeiten der westlichen Künstler vermissen. Der Liebe wegen bleibt Zakharov danach in Deutschland. Er gründet eine neue Familie. Seit 1993 lebt und arbeitet er im Münsterland.

Erfolgreich ausgestellt hat der Künstler in namhaften Galerien unter anderem in Chicago, Singapur, Paris, Zürich, Moskau, Budapest, Prag, Trelleborg, Hong Kong, Seoul, Miami und New York. Die Liste ist lang und sie ist wirklich beeindruckend. Mit der Galerie Flox ist nun heute auch Dresden auf dieser Landkarte vermerkt. 

Meine Damen und Herren. Zakharov malt aus dem Bauch heraus, lässt sich von Gesehenem, aber auch von Erfahrungen und Erlebnissen inspirieren und leiten. Wenn er ein Gemälde beginnt, dann weiß er noch nicht, wohin es ihn treiben wird. Er verlässt sich ganz auf seine Intuition und seinen inneren Antrieb. Zakharov will die Emotionen und Sehnsüchte, Leidenschaften und Begierden, die sich gewissermaßen hinter einer Szene verbergen, auf seine Leinwand bringen.

Zakharov experimentiert dafür mit ungewöhnlichen Mischtechniken. Er bringt Farben unterschiedlicher Konsistenz zusammen, die sich mitunter sogar gegenseitig abzustoßen scheinen wie die gegensätzlichen Pole eines Magneten.

Bei Zakharov scheint der sehnsuchtsvolle Unterton unmittelbar von der russischen Seele des Künstlers genährt. Denn ohne dies in den Vordergrund zu stellen, sind auf ihnen selbst in Details und nicht zuletzt in der expressiven Malweise Anspielungen auf die Herkunft und Heimat des Künstlers zu sehen und in sämtlichen Details zu spüren. Zakharov macht keinen Hehl daraus, wo seine eigentliche Heimat ist.

Ein besonderes Signal geht zudem von der Verwendung der Farbe Gold in den Gemälden aus. Denn damit greift Zakharov spielerisch den Einsatz von Gold in der russischen Ikonenmalerei auf. Gold ist aus den Kultbildern der russisch-orthodoxen Kirche nicht wegzudenken. Oft wurde für die Grundierung auf dem hölzernen Malgrund reines Blattgold eingesetzt und in mehreren Lagen aufgebracht, ganz ähnlich wie unser Künstler dies bei einigen seiner Gemälde gemacht hat.

Meine Damen und Herren. Alexander G. Zakharov liebt seine Heimat. Ich habe es gerade eben bereits angesprochen. Ein unablässig nagendes Heimweh und eine tiefe Sehnsucht nähren die Melancholie in seinen Arbeiten. Er ist auf der Suche nach dem Sinn des Lebens und jenen Wurzeln, die ihm seine Heimat geben soll.

„Wenn ich male, dann ist das immer ein Ausdruck meiner Seele“, sagt der Künstler. „Malen nach der Natur, das interessiert mich überhaupt nicht. Selbst meine Landschaftsbilder basieren nicht auf realen Landschaften, die ich irgendwann oder irgendwo gesehen habe, sondern sie sind der Ausdruck meines Inneren. Sie bringen mein Fühlen auf die Leinwand.“

Auch in seinen winterlichen Landschaften verweist eine spürbare und teilweise subtile Ikonographie auf die Herkunft des Künstlers. Wenn Alexander G. Zakharov Landschaften auf die Leinwand bringt, dann ist dort viel mehr zu sehen als bloß Hügel und Berge, schneebedeckte Wiesen, Weiden und Wälder. Die Städte und Dörfer, die Silhouetten rätselhafter, teilweise bedrohlicher und bedrohter Gestalten, erscheinen wie Zeichen aus einer anderen Welt.  Als Betrachter teilen wir die Hoffnung der Protagonisten: Hinter dem Horizont geht’s weiter.

Die Farben und Formen befinden sich in einer geheimnisvollen Schwingung. Es ist fast wie bei einer Sinfonie. Mal erzeugt sie eine düstere Grundstimmung, mal ist sie lebendig und munter als forderte sie zum Tanz heraus. Die Kompositionen, auf denen die Erde und der Himmel zusammenstoßen erzeugen ein Kraftfeld, dem man sich kaum entziehen kann.

Jede Landschaft trägt nicht nur eine gesehene oder erdachte Wirklichkeit in sich, sie erzeugt in der Tiefe der Seele Gefühle. Der Maler versteht sich in der Hinsicht nur als ein Werkzeug. Er hat das, was er malt, nicht wirklich gesehen, sondern er hat es gefühlt und erspürt. Im Tonsatz der Farben und im Zusammenspiel der Formen entdeckt er sich selbst.

Ich möchte Sie nun auf die Reise schicken, um den Fragen und Rätseln auf die Spur zu gehen, die der Künstler mit seinen Bildern aufgeworfen hat, ohne sie selbst lösen zu können.

Diese Winterreise gleicht einer Therapiesitzung. Wer bereit ist zu schauen, der erährt auch viel über sich selber. Ich weiß, dass auch Alexander Zakharov immer wieder versonnen vor seinen eigenen Bildern sitzt und sich über das wundert, was ihn hat malend gemacht.

Herzlichen Dank. (Dr. Jörg Bockow)